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Freitag! das letzte kapitel?
Kapitel 39. Das letzte Kapitel?
Was denn noch? Geht nach Hause. Okay, meinetwegen. Weil ihr es seid. Beharrliches
Pack. Ein Kapitel, wirklich nur eins. Also, passt auf:
Ein barockes Theaterhaus, irgendwo, irgendwann. Im Auditorium hat sich der neureiche
Geldadel der Stadt versammelt, um sich die Backen mit Kaviarschnittchen, Crémant und
Kultur zu füllen. Shakespeare, oder so. Hauptsache rein damit. Die Bühne zeigt das
Panorama des Salar de Uyuni in Bolivien, der Himmel ist gefärbt im Orange und Blau der
untergehenden Abendsonne. In der Bühnenmitte zwei Radfahrer, gekleidet im Stil alter
englischer Dramen. Der eine, ein Mann, der Baron von Bolivien, wirkt abgehetzt und
sieht aus, als wäre er mit einem Bleigürtel umgeschnallt, den halben Tag das Empire State
Building hoch und runter gerannt. Die Treppen, wohlgemerkt. Sein Rad, aus vielen
Einzelteilen zusammengeschustert, macht einen ebenso unglücklichen Eindruck wie er
selbst. Neben ihm, und immer leicht voraus, fährt die portugiesische Erzherzogin Catalina
del Avocado, auf einem prachtvollen Mountainbike, gehalten in Pastellgrün und Rosa.
Herzogin und Bike wirken wenig gefordert. Die glänzenden Speichen fliegen über die
feuchte Kruste des Salzsees. Anmut liegt in der Luft. Der Baron versucht sich vergeblich
daran, heftig strampelnd mit der Frau Schritt zu halten. Immer wieder schafft er es, auf
gleiche Höhe mit dem graziösen Gefährt zu kommen, um im nächsten Moment doch
wieder kläglich einige Meter zu verlieren, was die Unterhaltung der beiden sichtlich
erschwert.
„So haben sie doch ein Einsehen, liebste Herzogin, Frankenstein kann mit Ihnen nicht
mithalten. Und es grämt ihn.“ Die Herzogin lässt sich etwas zurückfallen, dreht den Kopf
zur Seite, um die Konversation zu erleichtern. „Baron, mich dünkt, als sei es nicht ihr
treuer Kamerad, der pausenlos ins Hintertreffen gerät. Es sind vielmehr sie, der sie der
ganzen Sache nicht gewachsen sind. Reißen sie sich zusammen. Eile ist geboten. Meine
Grace verträgt das Salzwasser nicht und droht mir unter meinem adligen Arsch
hinwegzurosten.“ Der Baron, erstaunt über die rustikale Ausdrucksweise seiner
Begleiterin, vergisst für einen Moment in die Pedale zu treten und sieht sich wieder im
Rückstand. Es scheint, als würde Grace, das herzogliche Bike, genugtuend lächeln.
Frankenstein hingegen macht all das augenscheinlich doch nichts aus. Er genießt sogar
die Fahrt, nimmt jede Pfütze mit, beschreibt ausgedehnte Kurven und benimmt sich, auch
für einen Schrottklumpen wie ihn, äußerst albern. „Gnädigste, Ich liebe Sie. Ich verzehre
mich nach Ihnen. So halten sie doch an.“ Wieder hat es der Baron für kurze Zeit
geschafft, sich und Frankenstein neben die Herzogin zu bringen. „Ach, Baron. Sie armer
Tor. Was wissen sie von Liebe? Ein Leben lang hetzten sie durch den Lauf der Welt,
eroberten Städte, Titel, Ruhm und Ehren. Nicht das, was ich mir von einem Partner für
mein Leben erhoffe. Sie sind ein kindischer Rumtreiber. Ein Romantiker. Ein Schuft, ein
Schurke. Ein Säufer. Und wenngleich mein Herz durchaus im Stande wäre, sie zu lieben,
mein Verstand kann es nicht. Und außerdem, meine Liebe gehört York von der Au, dem
Minnesänger. Tatütata. Und falls sie vergaßen, sie sind noch immer liiert mit der
Kronprinzessin, der Infantin Bulgariens und Montenegros, wenn ich mich nicht täusche.
Und außerdem will ich jetzt Spaghettieis. Palim Palim.“ Der Baron verliert Fassung und
Gleichgewicht, Frankenstein versucht mit einigen Kehren den Schwindel seines Fahrers
auszugleichen, doch nach wenigen Metern können sich beide nicht mehr halten und
stürzen der Länge nach, der Baron dabei wie ein Frosch mit ausgekugelten Hüftgelenken,
auf den würzigen Untergrund des Salar de Uyuni. Beide bleiben benommen für einen
Moment liegen. Die Herzogin Catalina del Avocado fährt unverrichteter Dinge, ohne
einen Blick zurück auf das Unheil zu werfen, weiter Richtung Sonnenuntergang. Der
Baron von Bolivien rappelt sich auf, fasst sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an die
Oberschenkelinnenseiten, schüttelt sich und tritt behutsam zur Bühnenmitte. Er wendet
sich dem Publikum zu. „Was kann sie wissen, welch Dunkel mich umgibt. Welch Freude
sie mir schenkte. Und ach, die Liebe. Was vermag die Liebe schon, gegen Vernunft und
Menschenverstand. Ich liebte schon so oft, doch niemals so. Der zweite Platz, er ist ein
Trübsal. Und war ich doch als erster in der Goldmine, so verlasse ich sie doch mit einer
Hand voll Sand. Und war ich auch der erste auf dem Wasser, so bin ich doch der letzte auf
dem Land. Leb wohl, Straße aus gelben Ziegelsteinen, leb wohl.“ Der Baron sinkt auf die
Knie, das Wasser spritzt bis in die dritte Reihe. Von rechts kommt ein auffällig gekleideter
Mann mit riesiger Sonnenbrille auf die Bühne. Er trägt ein Keyboard über der Schulter
und Schuhe mit Kometen-Plateausohlen. Gigantisch. Während er „Goodbye Yellow Brick
Road“ von Elton John anstimmt, schließt sich der Vorhang, verklemmt sich aber, und
kommt in der Mitte seines geplanten Weges zum Stehen. Während der schwere Stoff
durch den plötzlichen Halt in ein meditatives Schwingen gerät, erheben sich die ersten
Zuschauer und skandieren aufgeregt Schmähungen in Richtung der Bühne. Der Baron,
respektive (!) der, der ihn spielt, bäumt sich auf, tritt nach vorne und ruft erbost mit
kreisenden Mittelfingern, „Was? Was, ihr Flachspüler. Wenn es euch nicht passt, dann
kauft euch doch Netflix, ihr Torflappen.“ Elton John und der Baron gehen nach rechts ab.
„Was für ein Arschloch, dieser Shakespeare. Baron von Bolivien. Hätte ich stattdessen
bloß diesen Werbespot für Bausparverträge angenommen. So eine Scheiße.“ Zurück
bleiben nur ein schaukelnder Vorhang und Frankenstein. Das Bike liegt noch immer am
Boden, der Lenker verdreht. Das Hinterrad wird sich noch eine Weile ganz von selbst
zufrieden weiterdrehen. So lange wenigstens, bis die Lichter des Theaters allesamt
erloschen sind.
Dann wache ich auf. Wie so oft, klatschnass geschwitzt. Von mir aus. Wenn ich meinen
Küchengeräten Namen gebe, warum sollte Shakespeare dann nicht das Gleiche auch mit
Fahrrädern dürfen. Aber. Das war nicht Shakespeare, das war von mir. Nur mal so, am
Rande. Das mit der Liebe und dem Verstand. Gut, was? Seit Schneewittchen nicht mehr
mit mir zusammen ist, denke ich pausenlos in Theatermonologen. Und mal ehrlich, dieses
Spiel, da kann die Liebe nicht gewinnen, gegen Vernunft, Sicherheit, Seelenheil. Dieses
Spiel hat andere Regeln. Shize-Regeln. Es hätte keinen Sinn, hat sie gesagt und dabei
geschaut wie ihr Drecks-Wombat. Is klar, ich habe auch schon viel erlebt, aber nur weil
dieser Edelmann von Jock sie wie einen Putzlappen behandelt hat, soll ich der Depp sein?
Das ist nicht fair. Ich bin der Gute. Menno. Bringt halt nix.
Baron von Bolivien. Jesses. Was ein Stützstrumpf, der Typ. Spontan wie ein Geodreieck.
Seit sie weg ist, also Natalie, traut sich nicht mal mehr Sean Connery in meine Träume,
schon gar nicht in Badeklamotten. Und wenn sie glaubt, also Natalie – Herrgott nochmal
wie oft noch? Passt einfach auf. - also, wenn sie glaubt. Ich fang nochmal an mit dem
Satz, mit euch hat das heute überhaupt keinen Sinn. Wenn also Natalie glaubt, diese
Streichwurst kommt nochmal zurück von den Neuen Hebriden, um mit ihr eine Dynastie
zu gründen, … egal, jeder glaubt, woran er will. Der eine an die Macht des Geldes, der
andere an Recht und Ordnung und ich, hmmm, ich? An die Liebe. Und das lasse ich mir
auch von Schneewi nicht nehmen. Bevor ich nochmal einpenne und den zweiten Akt von
diesem Schwulst ertragen muss, zapp ich halt. Obwohl ich ja schon jede Doku dieser Welt
bereits mehrfach, ich wiederhole, mehrfach, gesehen habe. Hat mir auch nix gebracht. Ich
weiß jetzt zwar alles über das Jagdverhalten der Libelle, die kasachische Seenlandschaft,
die Geschichte von Tick, Trick und Track, aber das Leben, da weiß ich offenbar nichts
drüber. Jedenfalls nichts, was mir helfen würde.
Es läuft ein Roadmovie, was komisch ist, weil seit geschlagenen fünf Minuten latscht ein
Typ durch einen Laden für Frauenunterwäsche und sammelt Slips in einem rosa
Einkaufskorb. Er schaut sich immer wieder verlegen um. Als der Korb voll ist, geht er zur
Kasse und kübelt weltmännisch den gesamten Inhalt auf den Tresen. Statt ihm mal eben
so direkt eine reinzumetern, beginnt die Frau hinter der Theke stoisch, wie ein
buddhistischer Felsbrocken und ohne aufzuschauen, die Ware abzuscannen. Nach der
Hälfte hebt sie dann doch fatalerweise für Sekundenbruchteile den Kopf.
Sekundenbruchteile. Was ein Kack. Was soll denn an einer Sekunde brechen? Und ist die
dann kaputt? Und was machste dann mit den Bruchteilen? Pappste die dann zusammen?
Egal, anderes Thema. Der Kunde nimmt die kaum merkliche Kopfbewegung der Frau
zum Anlass, seinen Rechtfertigungsvortrag abzukübeln. „Tja, junge Frau, da werden sie
sich fragen – zu Recht, wie ich meine – was macht ein Mann meiner Statur mit
Unterwäsche wie dieser? Gute Frage, mal sagen.“ Die Verkäuferin scannt ungerührt
weiter. Sie kaut, hier wird widerwillig ein Klischee bedient, ein Pfefferminz-Kaugummi.
„Also. Heute spielt da so eine Band. In Bärenhausen. Nix dolles. Beatles Cover. She loves
und so. Überschaubar reizvoll. Straßenfest. Und nach drei Nummern ist eh egal, ob sie
alle zusammen den gleichen Song spielen, oder jeder was anderes. Merkt keine Sau und
ist auch nicht wichtig. Und damit da mal etwas Aufmerksamkeit generiert wird, gehe ich
da hin, mit der Freundin vom Manager, und werfe aus der ersten Reihe Slips auf die
Bühne. Und vorher,“ er nestelt in seinem Eastpack-Rucksack und zieht eine 0,5 Liter
Wasserflasche, ohne Blubber, aus dem mittleren Fach und hält sie seinem Opfer direkt vor
die Nase, „machen wir die Dinger noch feucht, damit es noch realistischer ist.“ Noch
realistischer? Geht das? Ist doch eh schon fast eine Doku, dieser Film. Die Szene läuft
noch. Die Unterwäsche ist abgescannt. „Macht dann 54,40 €, der Herr.“ Der Herr zückt
seine goldene Mastercard und ergänzt kleinlaut, „wissen sie. Ich bin verwirrt.“ Dann setzt
Musik ein, irgendwas von Neil Young oder so, ein Vorspann aus den Eingeweiden der
Hölle und dann zack.
Ausgemacht. Schwarzer Bildschirm. Ich bin leidensfähig, aber das übersteigt auch meine
Kräfte. Roadmovie. Im Unterwäscheladen. Shopmovie, Pantsmovie wohl eher. Der Baron
von Bolivien, sprechende Fahrräder. Was denn noch? Okay, als Alternative zu meinen
Freunden, die schon eine Weile nichts mehr von sich geben, ganz okay. Seit ich aufgehört
habe komatös zu saufen, ist Screwi beleidigt. Er hat nichts mehr zu tun. Früher hat er den
Arbeitskampf angezettelt, weil er kurz vor dem Burnout war. Jetzt liegt er in seiner
Schublade und rostet. Claire ist verschwunden, vermutlich ist sie zu Natalie gezogen,
Frauensolidarität, oder Nudelzangensolidarität, von mir aus. Und Freitag sagt kein Wort.
Seit Tagen nicht.
Kein Athens Mule mehr, kein Donkey Shot. Kein Ouzo mehr zum Kochen und keinen
Tempranillo. Und meinen russischen Freund, den kannst du ja auch nicht mehr kaufen,
seit dieser Pferdepimmel Länder überfällt. Und überhaupt, das Essen schmeckt nicht mehr
und wenn nicht bald was passiert, bin ich meinen treuesten Begleiter auch noch los. Mein
Übergewicht. Ich bilde mir für einen Moment ein, Freitag hätte „Fettsack“ gemurmelt,
aber das war sicher eine Sinnestäuschung. Der rührt ja nicht mal mehr Suppe um. Liegt
nur da und gammelt. Dann halt Rudergerät. Ist auch überschaubar spannend, so ganz ohne
Wasser. Hab ich mir gekauft, damit ich mit Schneewittchen irgendwann mal in echt aufs
Wasser kann. Jetzt steht das Ding hier rum. Und wenn das schon so ist, dann setze ich
mich eben auch drauf und pulle. Stell dir vor, ich gehe richtig Rudern, unten am Fluss,
und dann treffe ich auf Natalie. Die denkt doch, ich laufe ihr gediegen hinterher, so
Kometen-Lappen-Style. Und mal ehrlich, ich laufe ihr hinterher, aufm Wasser? Habe ich
Löcher in den Händen? Und kann man überhaupt sagen, ich rudere ihr hinterher? Können
ja, aber in einem Stück Weltliteratur wie diesem, doch wohl eher nicht. Oder noch besser,
wir stoßen zusammen, sie rammt mich, wie da in Ben Hur, aber aus Versehen, und dann
müssen die mich aus dem Wasser fischen und sie beatmet mich dann, und dann wache ich
auf und huste und lege meine Arme um sie und dann… Und dann und dann und dann?
Verdammt. Wach auf. Bei jedem Ruderschlag auf diesem Bock denke ich nur an Sie. In
jedem Risotto sehe ich ihr Gesicht. Wenn ich die Sportschau anschalte läuft Rudern.
Wenn ich auf die Straße gehe, fährt ein Auto von der Pizzeria Paradiso vorbei. Und im
Gemüseladen gibt es nur noch Auberginen. Und dunkle Vorhänge habe ich gekauft, damit
ich nicht mehr nach oben zu ihrer Wohnung glotze, wenn ich nach dem Yoga am Fenster
atme. Ja, richtig gehört. Yoga. Könnt eure Meinung für euch behalten.
Dann los. Ich muss vor die Tür. In den Wald. Aber bloß nicht dahin, wo ich mit ihr
rumgestolpert bin. Auch hier, aufgepasst. Ich lande sowieso genau dort, egal was ich mir
vornehme. Da kann der Wald noch so groß sein. Ich latsch durch den Sherwood Forest
und wer steht vor mir? Robin Hood sicher nicht. Schneewittchen und der fette Priester.
Sicher. Bruder Tuck. Jesses. Kann ich nix für. Ich bin einfach so. Gehst Pilze sammeln
und dann sowas. „Ja, ähm hallo, du, machstn hier?“ „Och nix. Ich rutsche auf dem
Waldboden aus purer Freude an der Natur und umarme Bäume. Und ihr zwei Hübschen?
Auch hier?“ Kometen-geistreich. Glaubt sie dann ohnehin nicht. Ist dann aber nicht mein
Problem. Ich und alleine im Wald. Ich kann nicht mal Schuhe anziehen, ohne an
Schneewi zu denken. Da, neben meinem rechten Wanderschuh steht ihr linker, viel
kleiner, wie ein Schuh-Enkel von dem großen und wo mein linker ist, weiß ich nicht mal.
Steht wohl bei ihr oben. Klasse.
„Dann geh halt rüber und klingel. To start with.“ Freitag spricht zu mir. Ein Quell der
Freude und eine so realistische Idee. „Wenn du so einen Quark absonderst, halt lieber die
Kiemen dicht. Ist nicht dein Ernst, oder?“ Freitag kneift die, ähmm, Augen zusammen (ja
Leute, ich weiß, use your imagination, klaro?) und verharrt in Schweigen. „Hi. Schön,
dass du wieder mit mir redest. Ich habe deine begnadeten Anglizismen vermisst, weißt
du?“ „Danke, du mich auch. Und ja, weiß ich. Du denkst ja selber welche. Vergessen? Ich
existiere in deinem Kopf und höre alles was du denkst. Auch wenn da sonst so viel nicht
ist. Klingel jetzt bei ihr, du Lappen, ich habe Bock auf Pilz-Risotto du Sammler.“ Kein
gutes Zeichen, wenn dein Schizo-Ich dir intellektuell haushoch überlegen ist. Das treibt
mich in den Wahnsinn. Aber ein Sixpack antrainieren, aufm Ruderbock den Hintern
breitquetschen und dann ausm ersten Stock hüppen? Dann lieber Pilze sammeln.
„Gehst du jetzt bitte rüber und holst den Schuh?“ „Sicher nicht, Freitag. Ganz sicher
nicht. Am Ende macht mir noch irgendein Hanswurst die Tür auf. Und ich sag ihm dann,
ähmm, sorry, hier ist noch ein Schuh von mir. Da ist doch dann direkt Souvlaki. Ohne
mich. Ich habe noch Pfifferlinge im Kühli. Die tuns auch.“ Freitag ist unzufrieden. Gut,
ist er immer, brauchste jetzt kein Buch drüber zu schreiben. Licht im Kühlschrank ist
auch immer aus, wenn die Tür zu ist, schreibt auch keiner einen Roman dazu.
„The light in the fridge“ von Öle-Bjorn-Rosenbloom. Oder so. Der Thriller führt uns in
die düstere Welt der nord-norwegischen Wintertage. Eisige Dunkelheit liegt über dem
Land. Die Menschen verzehren sich nach den ersten Sonnenstrahlen, bis in der kleinen
Gemeinde Schnödendö ein grausiger Mord geschieht. „The light in the fridge“. Jetzt im
Buchladen um die Ecke. Hat was. Mein Ernst.
„Klingelst du jetzt, oder was?“ Freitag lässt nicht locker, kann ich ablenken, wie ich will.
„Eher so oder was, würde ich sagen,“ sage ich, während ich ein putziges Körbchen Pilze
aus den eisigen Klauen meines Kühli befreie. „Der Kühlschrank, den ich Kühle nannte.
Eine beschwingte Romanze von Rosamunde…“ „STOPP. Gut jetzt. Hör auf. Geh. Jetzt.
Bimmeln.“ Stimmung war auch schon mal besser. Muss aber lange her sein, kann mich
nämlich nicht erinnern, wann zuletzt. „Was hast du gegen Pfifferlinge aus der Metro?
Hättest du lieber Pilze aus der Dose? Oder ausm Glas?“ Gut, merke ich selber. Den Bogen
habe ich überspannt. „Gekauft ist nicht echt. Die müssen gesammelt sein. Selbst
gesammelt. Sonst fühlt es sich falsch an.“ Super. Die Luft riecht nach Pizzaservice.
Allerdings, wenn jetzt Mezzo hier auftaucht und seinen Philosophie-Aufbaukurs abledert,
nehme ich den nächsten Flieger direkt in die Depression. Wir, respektive ich, stehen,
respektive stehe, da noch eine Weile in der Landschaft, respektive in der Küche, oder das,
was ich so nenne. Und dann. Herrlich. Dann. Ein Hirnbritzeln, ein Lichtblitz. So nämlich,
ihr Zellhaufen. Mit dem Momentum der genialen Erleuchtung schnappe ich mir das
Rotkäppchen-Körbchen mit den Pilzen und kippe es direkt vor Freitag auf dem
Küchenboden aus. „Hilfe, Screwi, er dreht jetzt endgültig durch. Tu was, mach ne Flasche
auf. Ich flehe dich an.“ Tja, Claude, Paolo, Pedro, Screwi. Es ist leider keine Flasche da.
Schon vergessen. Ich habe aufgehört zu saufen. Allerdings, gerade jetzt wärs premium.
Und zwei, drei Flaschen Wein am Abend ist ja streng genommen nicht saufen. Obwohl.
Ich kenn mich da nicht so aus. Wohl aber mit Life-Hacks. Und der war gerade brillant, ist
er noch. Ich bin dann mal so frei.
„Also Jungs. Löffel gespitzt.“ Damit nehme ich mein großes Sieb, beuge mich zu den
Pilzen und beginne, sie Stück für Stück einzusammeln. „Nicht selbst gesammelt fühlt sich
nicht echt an. Richtig? Richtig! Und was mache ich gerade? Selbst sammeln. Richtig?
Richtig!“ Mein Grinsen ist an Überheblichkeit nicht zu überbieten. Das Wort Smart Ass
schwebt über der Szenerie wie ein Damoklesschwert. Oder wie Mezzo sagen würde,
Damoklespferd. Freitag und Screwi sind, vollkommen zurecht, sprachlos. Nach dem
teuflischen Ritt der letzten halben Stunde ganz verträglich. Sammeln, waschen,
schnippeln. Pfanne und los. Und nochmal. Weil ihr alle dieses Thema liebt und mit euren
Mehltütchen schon in Stellung gegangen seid und mir erklären wollt, wie man damit Pilze
putzt. Bleibt ihm Schützengraben, sonst. Genau. Sonst. Zuviel Kochsendungen geglotzt?
Mit der Trulla aus Wien, die auch noch heißt wie ne Wurst? Gott gütiger, doch so
schlimm? Passt auf. Woraus bestehen Pilze? Genau. Zu 96% aus Wasser. So wie euer
Kopf. Richtig. Und wie genau soll sich jetzt ein Pilz, wenn man ihn unter fließend Wasser
kurz abspült, noch mit Wasser vollsaugen? Genau! Saugen, vor allem. Aus dem Lexikon
der Pilze: Der schleimstielige Nasssauger. Klingt zwar eher wie ein Putzroboter, aber das
muss mir jemand echt mal näherbringen, wie das funktionieren soll. Neu bei Aldi. Die
vegane Pilzrevolution. Mit 100 Prozent Wassergehalt. Kein lästiges Putzen, schneiden,
braten. Einfach Flasche auf und runter damit. Jetzt auch als 1,5 Liter Tetra Pak. In den
Geschmacksrichtungen Pfifferling, Steinpilz und Knollenblätterpilz. Nehmt den, dann
isses vorbei. Klar soweit? Deine Mudder isn Nasssauger.
Und jetzt habe ich es geschafft. 5 Minuten nicht an Natalie gedacht. Dafür jetzt wieder.
Egal. Flasche Wein wäre jetzt aber schon schön, obwohl trinken ohne Schneewittchen
auch überschaubar spannend ist. Und bei Trinken mit Schneewittchen reicht eine Pulle eh
nicht. Nicht mal ein 1,5 Liter Tetra Pak.
Und nicht an sie zu denken, macht für mich eh keinen Sinn. So oder so. Und Ihr wisst ja
sowieso genau, was jetzt passieren wird. Wisst Ihr? Wisst Ihr!
Es klingelt an der Tür. Und weil immer noch immer offen ist, dauert es nicht lange, da
steht sie dann da. Direkt hinter mir. Komplett in Oregano. Also die Farbe, nicht das
Gewürz. „Machstn da?“ Seht ihr, geht auch ohne Wald. Eloquent war sie schon immer,
das muss man ihr lassen. „Wonach sieht es denn aus, Herzogin?“ Ich, der Baron von
Bolivien, bin ein Meister der Replik. „Könnte ein Risotto werden, aber bei dir weiß man
ja nie.“ Die Welt ist voller Misstrauen. Einfach traurig. „Und sie, Gnädigste, was treibt sie
so um, an einem Tag wie diesem?“ Ach was, ich bin nicht ein Meister, ich bin der
Meister.
„Wolltest du nicht was Neues schreiben? Roman oder so?“ Willkommen zu der Smalltalk
WM. Finale. Na denn. „Tu ich ja, will ich ja, wenn ich nicht ständig unterbrochen werden
würde. Würden werde?“ Klingt beides nach Darmverschluss. Weiter. „Und der da,“ ich
zeige auf Freitag, „der will, dass ich nochmal den alten Senf anrühre. Fortsetzung.
Grauenvoll. Ohne mich.“ Sie schaut sich um, als hätte ich in den letzten Wochen einfach
mal so kernsaniert. Da ist aber nix, nicht einmal ein neuer Teppich unter dem
Küchentisch. „Und wie heißt das?“, fragt sie beinahe geistesabwesend, aber locker aus
der Hüfte, während ihre Fühler sich weiter durch meine Wohnung fräsen. „Kochlöffel,“
erkläre ich trocken und halte ihr Freitag vor die Nase. „Das hier heißt Kochlöffel.“
„Meine Damen und Herren, es ist ein enges Finale und…“ Stopp. Bartels. Fresse. Nicht
jetzt, sonst platzt mir der Kopf. Oder? Genau. Danke. Und dann wieder sie. „Oh Mann,
dein Buch! Wie heißt dein neues Buch?“ Ist zwar die Smalltalk Weltmeisterschaft, sie
könnte aber auch bei der „Genervt-Augenroll-WM“ locker mitmachen.
„Der Boy und Tony Randall.“ Ich weiß was kommt, ich weiß. „Prickelnd. Soll das der
Titel sein? Das kauft keine Sau. Du bist echt ein Vogel.“ „Moment mal. ‚Freitag!‘ hat
auch keine Sau gekauft. Nur 2 Typen und beide heißen Klaus.“ Stimmt beinahe. „Würde
es dich glücklich machen, wenn einer davon Balduin, Maik-Romeo oder Gisbert heißen
würde? Eben.“ Ich hoffe gerade auf das Ende dieser sinnbefreiten Unterredung, aber
dann. „Schreib doch mal was Schönes.“ Was Schönes. „Und das wäre? Die schönsten
Wombat Einschlafgeschichten? Kochen für Vereinsamte? Oder einen Ratgeber. Die
besten Gründe, deinen Freund zu verlassen.“ Aus der Schublade hört man Screwi „50
ways to leave your lover“ pfeifen. „Ich kann dich hören, Iljitsch, sehr gut sogar“, schreie
ich sinnlos Richtung Küchenschrank und wende mich dann wieder Natalie zu. „Da
könntest du mir sogar bei helfen. Oder stehst du mehr auf Drama? ‚Niedertracht und
Meuchelmord‘. Ein schwungvolles Theaterstück über die Macht der Liebe.“ Jetzt schaut
sie ernst. Sehr ernst. „Hör auf damit.“ Sie hat recht. Ich hör auf.
„Ich meinte so eine Geschichte, wie zum Beispiel, ähmm, über einen Jungen,
Erwachsenwerden, erste Liebe, Verluste, Krankheiten, und ne Band kommt darin vor,
und, ja. Sowas halt. Ernst und lustig. Tiefgründig. Und ohne Kochlöffel“ Bääääm. Treffer.
„Okay.“ Stille. Freitag ist angeknockt, aber er steht noch, respektive, ich halte ihn in der
Hand. Ein Buch ohne Kochlöffel. Ist ja gar nicht erlaubt. Natalie schüttelt sich. „Wie,
okay?“ „Na okay, okay. Mach ich so. Läuft.“ Jetzt ist sie maximal verwirrt. Woher soll sie
auch wissen, dass genau das der Plot des neuen Buchs ist? Plot. Jesses. Ich muss an die
frische Luft.
Dann nimmt sie mir Freitag aus der Hand, tackert ihm ein kurzes „Hi Löffel“ an den Stiel
rührt zweidreiviermal gegen den Uhrzeigersinn, ganz so, wie ich ihr das beigebracht habe,
und dreht sich, zuletzt, elegant zu mir um. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Aus dem
Augenwinkel (ja, hatten wir schon. Meinetwegen.) Also, aus den Augenwinkeln sehe ich,
wie sie die Flasche Tempranillo, die sie die ganze Zeit hinter ihrem Rücken versteckt
hatte, sanft auf den Tisch hinter sich gleiten lässt. Screwis Erregung ist elektrisierend.
Man kann sie spüren. Die freudige Erwartung, in Bälde eine Flasche entkorken zu dürfen.
Hätte er vor Monaten so auch nicht erwartet, dass das heute was Besonderes sein könnte.
Da steht sie jetzt. Die zukünftige Erzherzogin Schneewittchen von den Neuen Hebriden,
gekleidet in der traditionellen, Oregano-farbenen Staatstracht, begleitet von einer Hose im
Materialmix. Die Luft knistert, die Hose auch. Hinter uns steigt Dampf aus der Pfanne
auf. Wir schauen uns in die Augen. Ingrid und Humphrey, Romeo und Julia, Bonny und
Clyde, Donald und Daisy. Im Hintergrund schon wieder dieser französische Polizist mit
der dämlichen Mütze und dieses schrecklich laute Flugzeug. Kleiner Tipp. Wenn ihr
romantische Szenen an einem Flugplatz drehen wollt, dann setzt auf Segelflieger oder
Solar, dann müssen die Hauptdarsteller nicht so schreien. Jedenfalls, bevor ich es
vergesse, wische ich kurz mit meinem linken Arm durch die Luft, Schneewi wundert sich,
aber die Casablanca Szene hat sich aufgelöst. Nur noch sie und ich. Ja, gut, und das
Knistern einer Hose in Materialmix. Ja, und ein Kochlöffel und ein... Schluss jetzt. Ihr
seid echt anstrengend. Wisst ihr aber.
Sie hört nicht auf, mich anzusehen und ich werde den Teufel tun, was auch immer damit
gemeint sein soll. Dann legt sie Freitag zurück in die Pfanne, die ich mittlerweile, No-
Look, von der Herdplatte gezogen habe, und fasst mich am Arm. Also, eher so, sie zieht
an meinem Langarm-Shirt und das noch relativ unbeholfen. Ohne die Hilfe der
Gravitation wäre sie auch dazu nicht in der Lage. Aber lass mal, ist okay. Ob ich als
Meister der Replik auch super Einleitungssätze hinromantisieren kann? Einen Versuch ist
es wert, zumal meine Küchenkumpels sich gerade in eine schamhafte Paralyse
verabschiedet haben. „Hast du Bock auf Pfannkuchen und wolltest mich nach Mehl
fragen, willst du ficken oder nur die Schneewittchen Nummer durchziehen und von
meinem Tellerchen essen?“ Stabil, für den Anfang. Stabil. Und Kometen-romantisch
obendrein. „Ich wollte dir Claire zurückbringen.“ Nun. „Und? Dann mach doch!“ Sie
schlägt die Augen nieder und seufzt. „Hab sie vergessen. Ehrlich.“ Na toll. Gut, dass mir
das nicht passiert ist. Und dann, Jesses, da läuft sie auch schon. Eine einsame, verlorene
Träne schlingert ihr die Wange entlang, tropft auf ihr Shirt und verdunstet in der
Unendlichkeit aus Baumwolle und Oregano. Hach. Ein Moment der Unachtsamkeit und
schon hat sie, Wombat-gleich, die Flasche geschnappt, den Schraubverschluss!!! Geöffnet
- während Screwi einem Nervenzusammenbruch gerade sehr nahekommt - einen Schuss
Wein in mein Glas geleert und dann mal, mir nix dir nix, aus meinem Becherchen
getrunken. Und immer dann, wenn du nichts mehr begreifst, wenn die Realität dabei ist,
sich mit deinen Träumen zu verschmelzen, dann ist Schneewi-Prime-Time. Sie legt ihren
Kopf zur Seite, schaut mich immer noch an. Ich warte. Es zieht sich aktuell ganz schön in
die Länge. Ich will gerade darüber nachdenken, was ‚mir-nichts-dir-nichts‘ überhaupt
bedeuten soll, da kommt dann zu unser aller Überraschung doch noch was.
„Hab dich einfach nur vermisst, Idiot.“ Jesses, jetzt geht das wieder los. „Und ficken
kannste dich selber.“ Gut, ich werde darüber nachdenken. Versprochen. Sie grinst sich
einen ab und sieht dabei so dermaßen Kometen-geil aus. Dann drückt sie mein Gesicht
mit ihrer freien Hand zur Seite, nimmt noch einen tiefen Schluck, setzt sich
erwartungsvoll an den Tisch und schnappt sich, wie ein Raptor, meine Gabel. „Mach
hinne, ich hab Hunger.“ Dabei winkt sie wieder, wie ein Verkehrspolizist. Bitte
weiterfahren. Fahren sie weiter, es gibt nichts zu sehen. Bitte weiterfahren. Und klar, hab
ich mir alles nur ausgedacht.
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