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Graubrot und Früchtetee - Der Long-Covid-Reha-Blog: Episode 1. Skyfall

Aktualisiert: 26. März 2023

Adipöse Regenwolken. Hängen fett im Weg. Nebelfetzen zwischen den Bäumen gespannt. Verhüllen den Blick auf das Klinikgebäude. Wie bei Bond. Skyfall. Hinterland. Perfide Schurken bedrohen seine Existenz. Und die der Menschheit. Unsichtbar. Wie mutierte Viren, die sich schnell verbreiten. Hier soll es enden. Ausgang ungewiss. Schnitt.

Gesichter. Ihre Geschichten sind darin zu lesen. Geschrieben über die Jahre. Zwischen Hoffnung, Kapitulation und Gewohnheit. Rohkost zum Aufschnitt, Beatmungsgerät und Rollator, Freunde auf Zeit, in der Not. Ein Stück Normalität, gegen das Vergessen. Vieles ist anders, nichts mehr normal. Für Bond alltäglich, für die Menschen hier nicht.

Arztgespräche, Tests, Untersuchungen. Höhepunkt: mein erstes Abendmahl. Seifenblasen platzen, Erwartungen werden enttäuscht. Mein unerschütterliches Mantra: “Erwarte nichts und du wirst nicht enttäuscht“. Ob das ausreicht? Mehrere Wochen? Früchtetee und Graubrot? Der immer gleiche Aufschnitt? Ertragen. Die Zeit wird darüber richten. Ich habe da so eine Ahnung.

Die Menschen an meinem Tisch sind länger hier. Gewohnheit macht aus Schlimme-Augen-Wurst keinen Kaviar. Man lernt die Kunst der Abstumpfung. Ein Land, ein Gesundheitssystem. Reha. Gibt es so nicht überall. Beschwerden über Aufschnitt? Meinetwegen. Werft den Kram doch tonnenweise über Berlin Mitte ab. Solange ich die Hoffnung habe, dass es irgendwann so ist wie früher. Wird es aber nicht.

Der Mann neben mir erzählt von seinen Post-Covid Anfällen. Schubweise Attacken, immer wieder, ohne Vorankündigung. Sie bitte zum Tanz, aus dem Nichts. Ein Tanz mit den immer gleichen Figuren. Panik, Atemnot, Kopfschmerz, Schwindel, Gliederschmerzen, Erschöpfung. Schnipp. Kein Auslöser, keine Vorwarnung.

Er spricht tonlos, einsilbig. Wie ein Killer, lakonisch, abgestumpft. Das Grauen zum Alltag degradiert. So oft er seine Krankenakte ausbreitet, besser wird sie dadurch nicht. Aber er kann nicht anders. Mitleid ist eine Währung, mit der man sich nichts kaufen kann. Und hier on top die Inflation.

„Wissen sie“. Er richtet sein Wort an mich. „Es ist noch keine Zeit zu sterben, aber von einem auf den anderen Tag ist plötzlich alles anders. Heute ein Halbmarathon, morgen keine halbe Treppe mehr. Dann fällst du aus allen Wolken!“ Verstehe. „Let the sky fall, when it crumbles“. Der Himmel fällt aus allen Wolken. Zeit für einen Martini. Ich stehe auf. Gönne mir einen Früchtetee. Geschüttelt, nicht gerührt.



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Guest
Mar 26, 2023
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Eine düstere Prognose. Lang kann ziemlich dauern.

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